Bernhard Letterhaus

1894 - 1944


geboren am 10. Juli 1894 in Wuppertal-Barmen
hingerichtet am 14. November 1944 in Berlin-Plötzensee

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Bernhard Letterhaus wurde des Hochverrats am NS-Regime bezichtigt: beteiligt am fehlgeschlagenen Attentat vom 20. Juli 1944 auf Hitler. Als katholischer Gewerkschafter und Politiker kämpfte er für eine Staatsreform. Christlich und gerecht sollte sie sein.

Die Kirche reagierte auf das NS-Regime mit Obrigkeitsakzeptanz: „Jeder ordne sich den Trägern der staatlichen Gewalt unter. Denn es gibt keine staatliche Gewalt außer von Gott; die jetzt bestehen, sind von Gott eingesetzt“, Röm 13,1.

Ist das der Freibrief für den Hochverrat christlicher Werte? Letterhaus folgte seinem Gewissen. Er hat keinen verraten, weder seine Werte noch seine Kameraden und Mitstreiter: persönliche Entscheidungen treffen und konsequent leben bis zum Preis des Lebens. Mit dem Leben bezahlen reichte dem NS-Regime nicht. Letterhaus starb mit der Gewissheit, dass seine Familie seine Wahl nach seinem Tod mitzutragen hatte. Ein Katholik im Erbe von Papst Leo XIII. (Amtszeit 1878-1903):

„Wo Recht zu Unrecht wird,
wird Widerstand zur Pflicht,
Gehorsam aber Verbrechen.“
Papst Leo XIII.

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 Letterhaus im Kreis der Familie 1918


Im Handwerk groß geworden, war Bernhard Letterhaus führend in der konfessionellen Arbeiterbewegung. Er engagierte sich für die Rechte und Würde des Arbeiters, seinen Anspruch auf angemessenes Auskommen, gesellschaftliche und politische Teilhabe. Letterhaus vereinte „Don Camillo und Peppone“ in Person: Christliches Weltverständnis umspannte seine sozialistischen Ideen.  

1928 formulierte er seine Wirtschaftskritik. Sie greift gesellschaftspolitisch erst Jahrzehnte später und trifft auch heute auf den Punkt:

„Wir, die wir selbst als Christen Stellung nehmen zur Wirtschaft überhaupt, sehen, daß diese heute weitgehend ihren Sinn verloren hat. Der Verdienstgedanke überschattet den Dienstgedanken. Eine katholische Arbeiterbewegung, die die Freiheit und Gleichberechtigung der Lohnarbeiterschicht will, deren Ziel es ist, die Standwerdung der Arbeiterschaft zu erreichen, muß danach streben, der ganzen Wirtschaft wieder einen Sinn zu geben, in ihr die Dienstidee am Menschen durchzusetzen.

Der Weg dahin führt über ein Mitbestimmungs- und Mitgestaltungsrecht im Betrieb und in der Wirtschaft. Voraussetzung für dieses Mitbestimmungsrecht ist die Durchleuchtung der Wirtschaft. Heute stehen die Lohnarbeiter trotz ihrer körperlichen Anwesenheit im Betrieb noch außerhalb des Werkens.“

Auszug seiner Rede im Kölner Gürzenich im Juli 1928 anlässlich des Gründungskongresses der Kath. Arbeiter-Internationale

Weitsicht

Vor dem Wahlsieg der NSDAP warnte er öffentlich im September 1930 auf dem Katholikentag in Münster:

„Falsche Propheten mit einem Kreuz auf der Fahne, das aber nicht das Zeichen des Welterlösers ist, ziehen durch Städte und Dörfer. Sie verwüsten die Herzen des leidenden Volkes.“

„Stichflamme“ gibt Funken weiter

Seine Freunde gaben ihm den Spitznamen „Stichflamme“: Die politischen Missstände in der Weimarer Republik brachten Letterhaus in Rage. Vehement und eindringlich waren seine Reden. Im Juni 1932 sagte er im Preußische Landtag über die Nationalsozialisten:

„Sie wollen bewusst keine Partei, wollen nicht Teil sein, sondern sie wollen herrschen.“ (…)

„Niemand weiß von uns, wie lange noch Gelegenheit geboten ist, frei vor der Nation zu reden.“

Seine Prophezeiung ereilte ihn ein halbes Jahr später am 31. Januar 1933, kurz nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler. Schrittweise wurde er aller politischen Betätigungsmöglichkeiten enthoben. Umso aktiver stürzte er sich in die Verbandsarbeit. 1938 wurden der Arbeiterverband sowie sämtliche konfessionellen Arbeitervereine verboten.

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Kirchenkritik

Letterhaus forderte die deutschen Bischöfe auf, ihre Stimmen zu erheben gegen die NS-Zwangsmaßnahmen, die katholischen Einrichtungen auferlegt wurden. Er kritisierte das 1933 zwischen Vatikan und NS-Regierung geschlossene Reichskonkordat „als Stabilisierung des NS-Regimes von außen“.

Letterhaus schloss sich Widerstandsbewegungen in Köln und Berlin an.

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Letterhaus vor dem Volksgerichtshof

Im Gefängnis soll er zu einem Mitgefangen, zwei Tage vor seiner Hinrichtung, gesagt haben:

„Die Welt kann nur gerettet werden, wenn im Kleinen und Großen Wahrheit, Gerechtigkeit und Liebe herrschen.“


Biografie

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Geburtshaus Heckinghauser Straße

10. Juli 1894
Bernhard Letterhaus erblickt die Welt in Barmen-Heckinghausen, heute Wuppertal. Sein Vater Johann Bernhard Letterhaus ist selbstständiger Schuhmachermeister, seine Mutter Emilie führt ein Lebensmittelgeschäft. Bernhard und seine Brüder August und Emil wachsen auf in einem katholischen Elternhaus.

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Kath. Volksschule am Steinweg von 1907 bis 1939

Bernhard Letterhaus besucht acht Jahre lang die Kath. Volksschule St. Antonius Barmen, zunächst in der Hochstraße, heute Hohenstein, dann im Neubau der Schule am Steinweg, der heutigen Städt. Realschule Leimbacher Straße.

Josef Hermkes, Kaplan an St. Antonius von 1906 bis 1920, lobt Bernhard als guten und frommen Messdiener. Bernhard möchte Priester werden. Seine Eltern können das Schulgeld nicht aufbringen. So beginnt er eine Lehre als Bandwirker. Das Wirken, Herstellen von Bändern war seinerzeit eine handwerkliche Aufgabe, ausgeführt von spezialisierten Webern. In dem Barmer Lehrbetrieb ist er konfrontiert mit dem Elend und den Nöten der Arbeiter.

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Preußische Höhere Fachschule für Textilindustrie Gewerbeschulstraße

Nach der dreijährigen Lehre besucht Bernhard Letterhaus die Preußische Höhere Fachschule für Textilindustrie in Barmen. Die Abschlussprüfung besteht er mit Auszeichnung.

1914 Im Alter von 20 Jahren folgt Letterhaus dem Einberufungsbefehl zum Infanterie-Regiment 138 in Lothringen. Er kämpft an der Westfront und wird mehrfach verletzt. Ausgezeichnet wird er mit dem Eisernen Kreuz I. und II. Klasse.

1918 Als Unteroffizier kehrt Letterhaus heim nach Wuppertal.

1919 Letterhaus wird Parteisekretär der Zentrumspartei in Wuppertal-Barmen.

1920 – 1927 Letterhaus ist Verbandssekretär des Zentralverbands christlicher Textilarbeiter in Düsseldorf. Diese Stellung klingt nicht spektakulär, was er daraus entwickelt, ist es: Er nutzt und befeuert die christliche Gewerkschaftspresse zur Information, Bildung und Meinungsbildung der Arbeiter.

Abends nach Dienstschluss besucht er die Staatliche Fachschule für Wirtschaft und bildet sich autodidaktisch weiter.

1927 Letterhaus fällt auf: Der Westdeutsche Verband kath. Arbeiterbewegungen, KAB, seinerzeit die größte konfessionelle Arbeiterorganisation, wirbt ihn ab. Er arbeitet nun in der KAB-Zentrale in Mönchengladbach als Verbandssekretär.

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Verbandsspitze der KAB v.l. Nikolaus Groß, Bernhard Letterhaus, Prälat Hermann Josef Schmitt

1928 Die KAB-Zentrale wechselt nach Köln in die heutige Bernhard-Letterhaus-Straße.

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KAB-Zentrale, Ketteler-Haus, Köln

Mit seinem Freund und Weggefährten Nikolaus Groß beginnt Bernhard Letterhaus seine Tätigkeit als Schriftleiter der Westdeutschen-Arbeiter-Zeitung, WAZ.

Sein Buch „Größenordnung in Volk und Wirtschaft“ erscheint.

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Als Abgeordneter der Zentrumspartei für den Wahlkreis Düsseldorf-Ost gelangt Bernhard Letterhaus in den Preußischen Landtag und ist Mitglied des Rheinischen Provinziallandtages.

1929 Bernhard Letterhaus heiratet Grete Thiel. Sie werden am 2. Mai getraut in der Kölner Pfarrkirche St. Agnes.

1930 Am 3. September wird Berhard Letterhaus Vizepräsident des 69. Deutschen Katholikentages. In seiner öffentlichen Rede nimmt er entschieden Stellung gegen den Nationalsozialismus und Bolschewismus.

1931 Es erscheint sein Buch „Die katholischen Arbeiter und der Sozialismus unserer Tage“.

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1933 Verbot der Westdeutschen Arbeiterzeitung.

Bernhard Letterhaus wird Mitglied des Fraktionsvorstandes der Zentrumspartei im Preußischen Landtag. Er unterstützt das Präsidialkabinett des Reichskanzlers Brüning, steht jedoch in schroffer Opposition zu dessen Nachfolger Papen. Nach Hitlers Machtergreifung wendet sich Letterhaus gegen das Ermächtigungsgesetz.

1934 Am 12.12.1934 wird Tochter Ursula geboren.

Letterhaus veröffentlicht eine Abhandlung „Zur Frage der sozialen Gliederung des kath. Volksteils in Deutschland“.

1935 – 1938 Die Gestapo hat Letterhaus im Visier. Er wird mehrfach verhört.

1939 Letterhaus wird im Alter von 45 Jahren in den Krieg einberufen zum Stab des Landesschützenregiments Nr. 61 in Köln-Mülheim.

1942 Nach einer Verwundung wird er nach Berlin versetzt zur Abteilung Ausland Abwehr (Presse/Zeitschriften) des Oberkommandos der Wehrmacht.

1943 Bernhard Letterhaus schließ sich der Widerstandsbewegung an. Dazu gehören u.a. Goerdeler, Wirmer, Leuschner, Kaiser, Habermann. Sie planen die politische Neuordnung Deutschlands. Im Kabinett von Dr. Karl Goerdeler, seinerzeit Leipziger Oberbürgermeister, ist Letterhaus als künftiger Aufbauminister vorgesehen. Die Vorbereitung des Attentats in Zusammenarbeit mit Stauffenberg ist naheliegend.

1944 Am 20. Juli 1944 hält sich Letterhaus in Potsdam auf. Er erfährt, dass der Anschlag auf Hitler gescheitert ist. Freunde raten ihm zur Flucht in die Niederlande. Er entscheidet sich dagegen und bleibt in Berlin.

Am Abend des 25. Juli 1944 wird Letterhaus nach einem Ausflug mit seinen Mitarbeitern verhaftet. Die weiteren Stationen: Gefängnis in Berlin, Konzentrationslager Ravensbrück, Haftanstalt in Berlin Tegel.

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Letterhaus vor dem Volksgerichtshof
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Letterhaus vor dem Volksgerichtshof
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Letterhaus vor dem Volksgerichtshof

Am 13. November um 10 Uhr findet vor dem Volksgerichtshof der Prozess gegen Bernhard Letterhaus statt. Die Anklage lautet Landes- und Hochverrat. Letterhaus erklärt, dass die Verschwörer ihre Pläne „nur durch eine gewaltsame Änderung der Regierung an Haupt und Gliedern“ glaubten erreichen zu können. Nach einer Stunde, um 11 Uhr, wird das Urteil verkündet: Tod durch den Strang, Ehrverlust und Vermögenseinziehung. Bernhard Letterhaus wird am 14. November erhängt. Er war 50 Jahre alt.


Briefe

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Während seiner Haft schrieb er sechs Briefe an seine Frau Grete. Sie wurden ihr nach seinem Tod ausgehändigt.

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30.09.1944 Erster Brief aus dem Gefängnis 1/2
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30.09.1944 Erster Brief aus dem Gefängnis 2/2
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04.10.1944 Zweiter Brief 1/2
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04.10.1944 zweiter Brief 2/2
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21.10.1944 Dritter Brief 1/2
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21.10.1944 Dritter Brief 2/2
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28.10.1944 Vierter Brief 1/2
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28.10.1944 Vierter Brief 2/2
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05.11.1944 Aus dem fünften Brief 1/2
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05.11.1944 Aus dem fünften Brief 2/2
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11.11.1944 Letzter Brief 1/2
Letzter Brief
11.11.1944 Letzter Brief 2/2





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Gedenkstätten / Gegenstände in Wuppertal